Leseprobe "So bloody Far":

 

Heiß, heiß … Ihm war heiß. Und gleichzeitig eisig kalt. Sein Leib schmerzte, brannte, fror. Er zitterte, schlug in Krämpfen um sich. Am Schlimmsten war sein Kiefer. Von dort gingen die Schmerzen aus, die sich wellenartig über seinen Körper ausbreiteten. Jeder einzelne Muskel und jeder Knochen schien von diesem Schmerz erfasst und von ihm durchdrungen zu werden. Schmorte er etwa im ewigen Fegefeuer oder was geschah mit ihm? Seine Augen mussten mit Blut gefüllt zu sein, denn er sah nur rote Schleier. Die Augäpfel selber brannten, als würde sich Säure in sie hineinfressen. Heulend warf er sich auf dem durchgeschwitzten Laken umher. Diese Hitze, diese unerträgliche Hitze, die ihn innerlich verzehrte. Gleichzeitig zitterte er vor Kälte. Er fauchte, keuchte, stöhnte und knurrte gegen die Schmerzen an … und gegen den Hunger. Diesen erschreckenden, alles beherrschenden, unermesslichen Hunger …

 

 

Songlian befand sich allein in dem dunklen Krankenzimmer, in das die Sanitäter Far gebracht hatten. Er hatte alle hinausgeschickt, auch den Doc.

„Es ist zu gefährlich“, hatte er lediglich gesagt. „Während der Wandlung wird er nicht er selbst sein.“

Sicherheitshalber hatten sie die Tür abgeschlossen, obwohl eine einfache Tür kein Hindernis für einen wildgewordenen Vampir darstellte. Aber eine Tür zu verschließen vermittelte wenigstens ein besseres Gefühl. Songlian wusste sie alle draußen auf dem Flur: Jonathan, Joey und Cooper, das komplette Team 3, Jayden Cullen und einige seiner Nachtwölfe und den Chief. Sogar der Boss hatte ihr geheiligtes Büro verlassen und war auf ihren hochhackigen Pumps zum Krankenzimmer geeilt. Songlian konnte die spitzen Absätze durch die Tür auf dem Flur unruhig hin- und herwandern hören. Alle warteten sie auf den Moment, in dem Songlian ihnen sagen würde, ob Far die Wandlung überlebt hatte, oder ob er an Lorcans verseuchtem Biss gestorben war.

Still beobachtete Songlian seinen Freund. Durch sein heftiges Ankämpfen gegen die Metamorphose machte es sich Far bloß zusätzlich schwer. Mit der ihm typischen Dickköpfigkeit weigerte er sich den menschlichen Teil seines Körpers sterben zu lassen. Dies war allerdings ein Kampf, den er verlieren würde, denn dafür hatten Lorcans nadelspitze Fangzähne und das gewaltsam eingeimpfte, vampirische Drüsensekret gesorgt. Die Frage war nur, ob Far stark genug war, um die Wandlung zu überstehen. Und ob er auch akzeptieren konnte, dass er zu einem der Wesen mutierte, die er selber noch vor Kurzem in den Straßen New Yorks gejagt hatte.

Auf einmal erschlaffte Fars Leib. Sein Herzschlag und alle weiteren Lebensfunktionen hatten endlich ausgesetzt. Die heikle Phase der Wandlung begann. Würde Far zu neuem Leben erwachen? Zwei nervenaufreibende Stunden lang starrte Songlian voller Angst auf seinen toten Freund. Unruhig begann er nun selber auf und ab zu laufen, genau wie der Boss draußen vor der Tür. Er wusste nicht, was er tun würde, sollte Far diesen kritischen Augenblick nicht überstehen. Bestimmt würde er den Verstand verlieren, wenn wegen seiner verdammten Familie wieder einmal jemand umkam. Jemand, an den er dieses Mal hoffnungslos sein Herz verloren hatte. Far …

Doch zu seiner größten Erleichterung schien alles gut zu verlaufen. In dem zu einem wütenden Knurren verzogenen Gesicht konnte Songlian inzwischen perfekt ausgebildete Fangzähne ausmachen. Weiß schimmerten sie zwischen den halb geöffneten Lippen hervor. Erwartungsvoll trat Songlian einen Schritt näher.

Pfeifend begann Far wieder zu atmen, oberflächlich erst, dann immer tiefer und regelmäßiger. Er hatte seine Geburt zum Vampir überstanden.

Wir hatten gerade zueinander gefunden, dachte Songlian traurig. Und nun wirst du mich bestimmt hassen, weil du in mir ständig Lorcan und das Ende deiner Menschlichkeit sehen wirst.

Far lag jetzt ruhig auf dem zerwühlten Bett und schaute ein wenig orientierungslos zur Zimmerdecke hinauf. Würde er sein Schicksal akzeptieren?

Zeit für deine erste Mahlzeit.Songlian öffnete eine Blutkonserve. Allein der Blutgeruch reichte aus, um Far aufmerksam zu machen. Mit dem Becher in der Hand näherte sich Songlian dem Bett.

„Trink das. Danach wird es dir besser gehen.“

„Songlian?“ Fars Stimme klang erschöpft. „Es ist dunkel. Wieso kann ich dich trotzdem sehen?“

„Trink das, Far.“ Ohne auf Fars Frage einzugehen, reichte ihm Songlian den Becher mit der dunklen Flüssigkeit, die metallisch, süß und salzig zugleich schmecken würde. Far wirkte noch immer ganz durcheinander und trank den Becher leer, ohne den seltsamen Geruch zu hinterfragen. Mit sichtlicher Erleichterung schloss er für einen kurzen Moment die Augen. Songlian wusste, dass nun neue Kraft durch seine Adern strömte.

 

 

Was immer Songlian ihm gegeben haben mochte, es half über das erschreckende Hungergefühl hinweg. Von einem Augenblick zum anderen fühlte sich Far erfrischter und reger. Er stellte den Becher auf den Nachttisch neben seinem Bett ab und sah leise stöhnend auf. Irgendetwas musste ihn überfahren haben. Jedenfalls fühlte er sich so. Songlian schien in einem Kegel aus gedämpftem Licht zu stehen, sodass er ihn trotz des abgedunkelten Raumes erkennen konnte. Verwundert blinzelte Far mehrmals.

„Was ist passiert, Songlian?“

Statt einer Antwort trat sein Freund einige Schritte zurück. Und plötzlich tauchten Bilder in Fars verschwommener Erinnerung auf. Es waren vage Bilder, denn man hatte ihm Songlians Lieblingsdrogen verabreicht. Doch trotz der Crawlers hatte sein Verstand einige Eindrücke abgespeichert: Songlian, der wie ein Wilder kämpfte und Lorcan, der ihm äußerst schmerzhaft die Zähne in den Hals geschlagen hatte. Da er nicht tot war, konnte dies nur eines bedeuten …

„Nein“, flüsterte Far. Er griff erneut nach dem Becher. Dieses Mal mit zitternden Fingern. Blutige Reste klebten in seinem Inneren.

„Nein.“ Er schüttelte entsetzt den Kopf und schleuderte den Becher quer durch den Raum, wo er an einer Wand zersplitterte.

„NEIN!“ brüllte Far. Mit einem Satz war er aus dem Bett und stürzte Songlian unbeholfen vor die Füße, weil ihm sein Körper nicht wie gewohnt gehorchte. Mit einiger Mühe gelang es Far sich zu koordinieren und aufzurichten.

„Langsam, Far. Du musst dich erst daran gewöhnen …“

„Gewöhnen?“, schrie Far ihn an. „Sieh mich an, verdammt!“ Voller Wut schmiss Far mühelos das schwere Krankenbett um. Mühelos! Er stieß einen weiteren Schrei aus, frustriert, wild und zornig. Ein Stuhl segelte an Songlian vorbei und zerschellte wie zuvor der Becher ebenfalls an der Wand. Danach begann Far seine Faust gegen die Tür des Spindes zu schlagen, bis sich die Stahltür komplett verbogen hatte. Songlian verhielt sich passiv und ließ ihn seine Wut austoben.

Schließlich sank Far mit einem Wimmern an der Wand zu Boden, zog die Knie an und legte den Kopf darauf. Wieso hatte Lorcan ihn nicht einfach umbringen können? Wieso hatte er sich einen derartig grausamen Scherz erlaubt? Vor Verzweiflung biss Far die Zähne zusammen. Er spürte verflixt scharfe Fangzähne in seinem Mund. Fangzähne! Verflucht, er war doch ein Officer der SEED!

 

 

Songlian hatte sich Fars Ausbruch schweren Herzens angesehen. Er spürte die tiefe Verzweiflung seines Freundes, die wie Wellen von ihm auszugehen schien. Nach einer Weile trat er vorsichtig näher. Far schien sich inzwischen etwas gefasst zu haben.

„Okay“, hörte er Far sagen. „Okay, es lässt sich nicht ändern, nicht wahr?“

„Nein“, antwortete Songlian leise.

„Diese Hurensöhne haben nur dafür gesorgt, dass ich ihnen weitaus effektiver den Garaus machen kann. Alles in allem geht es mir ja eigentlich besser als zuvor, oder? Ich bin nahezu nicht zu töten, bin schneller und stärker, kann besser sehen und … zum Teufel … ich kann riechen wie ein Bluthund.“ Far sah auf. An der Art, wie seine Kiefermuskeln hervortraten, konnte Songlian sehen, wie sich Far bemühte seine Wut und seine Hilflosigkeit ganz tief in seinem Inneren zu verschließen. Songlian hatte beinahe den Eindruck, als säße vor ihm ein zehnjähriger Junge, der auf die Leichen seiner Familie schaute und sich mit aller Gewalt dazu zwang nicht in Tränen auszubrechen.

„Far, es tut mir leid. So entsetzlich leid“, brach es aus Songlian hervor. Mit der fließenden Geschmeidigkeit eines frischgeborenen Vampirs erhob sich Far, allerdings dieses Mal etwas vorsichtiger als zuvor.

„Das braucht es nicht, Songlian. Du kannst schließlich nichts dafür.“

„Wäre ich in dieser Nacht neulich nicht einfach weggelaufen, dann wärst du mich nicht suchen gekommen …“

Far verpasste Songlian unerwartet einen harten Stoß. Mit einem überraschten Laut taumelte er einige Schritte zurück.

„Es hat mich niemand gezwungen, dich zu suchen, Songlian. Außerdem hätte ich in dieser Nacht auch ein wenig sensibler auftreten können, aye?“ Seine Stimme wurde sarkastisch: „Vielleicht solltest du dich bei Lorcan dafür bedanken, dass du nun einen Partner auf Lebenszeit hast.“

Partner, nicht Liebhaber und Songlian anstatt Song.

Warum nur fühle ich mich so grässlich?, fragte sich Songlian traurig. Er hätte in diesem Augenblick um Far weinen mögen, der so voller Hass war. Mühsam riss er sich zusammen.

„Die anderen warten vor der Tür. Bist du in der Lage, ihnen gegenüberzutreten?“

Als Far nach kurzem Zögern nickte, klopfte Songlian gegen die verschlossene Tür und rief dabei: „Macht auf!“

Angesichts dieser Vorsichtsmaßnahme zog Far die Augenbrauen empor, gab dazu allerdings keinen Kommentar ab. Aber er war doch überrascht, wer ihn alles erwartete. In den Gesichtern der Kollegen und Freunde war ausnahmslos Erleichterung zu erkennen.

„Wie fühlen Sie sich, Baxter?“, fragte Anabelle Wilcox und trat einen Schritt vor.

„Prima, Boss. Es war schon immer mein größter Wunsch, ein Vampir zu werden“, antwortete Far höhnisch. Hinter ihm gab Songlian warnende Zeichen.

„Natürlich“, murmelte Wilcox betroffen. „Wir hätten es uns selbstverständlich ebenfalls anders gewünscht.“

„Zumindest weilst du noch unter uns und das ist das Wichtigste“, verkündete Jonathan und umarmte Far kurzerhand. Derartig entwaffnet, verkniff sich Far einen weiteren bösen Kommentar.

„Aye, wir hatten schon geglaubt, dass wir dich verloren hätten“, brummte Joey und klopfte Far verlegen auf die Schulter. Die anderen äußerten sich ähnlich. Endlich drängte sich Jayden Cullen zu seinem Freund durch und zog ihn wortlos an sich.

„Was macht ihr denn hier?“, fragte Far und ließ den Blick erfreut über die Nachtwölfe gleiten.

„Wir haben ganz gut zusammengearbeitet, als wir dich und Songlian gesucht haben“, antwortete Cooper und Jayden nickte zustimmend. „Da konnten wir sie schließlich nicht einfach vor der Tür stehen lassen.“

„Zusammengearbeitet?“

„Ich denke, dass wird Ihnen Walker alles in Ruhe erzählen. Zeit genug werden Sie dafür jedenfalls in den nächsten Tagen haben.“ Wilcox mischte sich rasch in das Gespräch ein, ehe jemand Fars Fragen beantworten konnte.

„Wie meinen Sie das, Boss?“, fragte Far.

Songlian horchte ebenfalls auf, denn auch ihm war der eigenartige Unterton seiner Vorgesetzten nicht entgangen. Wilcox warf Chief Morlay einen unbehaglichen Blick zu.

„Hören Sie, Baxter, es war bereits schwierig genug dem Polizeichef Walker unterzuschieben. Aber was glauben Sie, was mir das Department erzählt, wenn hier zwei Vampire den Dienst versehen? Das würde so aussehen, als würden wir neuerdings offiziell Vampire einstellen. Ich kann daher nicht garantieren, dass Sie weiterhin bei der SEED beschäftigt werden können.“

Auf einmal herrschte Totenstille. Dafür brach einen Augenblick später ein ungeheurer Tumult los, in dem nur Songlian und Far schwiegen. Songlian hatte bereits damit gerechnet, für Far dagegen musste diese Ansage wie ein kalter Wasserguss kommen. Die anderen hatten weniger Hemmungen und ließen ihrem Ärger freien Lauf.

„Ruhe!“, brüllte die kleine Wilcox auf einmal mit erstaunlich kräftiger Stimme und tatsächlich kehrte wieder Stille ein.

„Natürlich werde ich alles daran setzen, dass sie beide bleiben können. Trotzdem treffe nicht ich die Entscheidung. Es tut mir wirklich leid, Baxter.“

„Ich bin also suspendiert?“ Far sah seinen Boss fassungslos an.

„Nicht suspendiert. Beurlaubt unter vollen Bezügen. Das trifft Sie leider genauso, Walker.“

Songlian nickte bloß. Warum gegen das Unvermeidliche protestieren? Hinter ihnen erscholl ein unwilliges Schnauben.

„Wenn die dich nicht mehr wollen, Ice, dann kommst du zu uns zurück. Und Songlian bringst du mit, aye?“

Mit einem Lächeln wandte sich Far zu Jayden um.

„Ich will Unterweltler töten. Wo und wie ist mir egal“, sagte er zu niemand bestimmtem.

„Ich melde mich, sobald ich etwas erreicht habe“, sagte Wilcox. „Gehen Sie nach Hause und erholen Sie sich erst einmal. Ich würde Sie beide wirklich ungern verlieren, Baxter. Das müssen Sie mir glauben.“

Doch Far hatte sich bereits abgewandt und ging wie betäubt den Flur entlang in Richtung Ausgang. Songlian folgte ihm eilig. Er warf nur einen entschuldigenden Blick über die Schulter zurück, wo die anderen ihnen betroffen hinterher sahen.