Leseprobe Herbstfraß

 

Freitag, 05. November

17:26 Uhr

Vor etlichen Jahren hatten die Behörden den Eingang zum Bunker im Haakewald zugemauert. Aber es dauerte nicht lange, bis Abenteuerlustige einen kleinen Durchbruch schufen und in dem kargen Ambiente wilde Partys feierten. Irgendwann verlor dieser zu abseits gelegene Ort seinen Reiz und geriet in Vergessenheit.

Jetzt kommt nur noch er mit seinen Opfern hierher, um sich ungestört zu vergnügen. Als der Splitterschutz des Bunkers vor ihnen aufragt, scheint sein unwilliger Begleiter aus seiner Lethargie zu erwachen. Angesichts der Angst in dem Gesicht des Jungen quillt ein Kichern über seine Lippen. Er ist bereits voller Vorfreude ihm sein Spiel über Leben und Tod zu demonstrieren. Dagegen versucht sein Auserwählter zu schreien. Der grüne Schal, den er dem Jugendlichen in den Mund gestopft und am Hinterkopf zusammengebunden hatte, dämpft den erbärmlichen Protest.

„Es wird dich niemand hören“, sagt er und kichert wieder. Der Junge versucht sich von ihm loszureißen.

„Wirst du munter, ja?“

Er gibt dem Hilflosen einen heftigen Stoß. Golden angehauchtes, rotbraunes Laub raschelt unter den Füßen, als sein gefesseltes Opfer stolpert und beinahe fällt. Ungeduldig schubst er den Jungen auf den Bunker zu. Es ist kurz vor Sonnenuntergang und die Sonne taucht den betonierten Eingang in orangefarbenes Licht. Doch der Teenager hat keinen Blick für die Schönheiten der Natur. Sein angstvolles Röcheln dringt durch den Schal. Erneut bleibt der Junge stehen und weigert sich mit steifen Gliedern weiterzugehen.

„Da hinein“, befiehlt er und schubst den Jungen grob auf den schmalen Spalt zwischen den bröckelnden Mauersteinen zu. Der reißt die Augen auf, beginnt sich voller Panik zu wehren und tritt nach ihm. Damit hat er allerdings gerechnet. Auch die anderen Erwählten hatten sich gewehrt, als sie den Bunker als ihre persönliche Endstation erkannt hatten. Rasch zieht er ein Messer und hält die Klinge dicht vor das Gesicht des Jungen. Dessen blaue Augen werden riesig.

„Siehst du das? Das ist ein Master Cutlery. Und hier, auf der Klinge, erkennst du den Schriftzug? Rambo III steht da. Rambo … So kannst du mich nennen, wenn du magst.“ Die Klingenspitze berührt die zarte Haut direkt unter dem linken tränengefüllten Auge des heftig atmenden Jungen.

„Rambo“, murmelt er nachdenklich. Der Name war toll. Warum war er ihm nicht viel eher eingefallen? Die vorherigen Mitspieler hatten ihn mit seinem bürgerlichen Vornamen angesprochen. Rambo dagegen fühlte sich … richtiger an. „Ja, das gefällt mir. Jeder braucht einen Namen, der zu ihm passt, nicht wahr? Und Rambo, das klingt nach Entschlossenheit und nach Stärke. Nach Macht.“ Deswegen hat er sich genau dieses Messer gekauft. Er liebt die Survival-Klinge aus 420er Stahl mit der längs geschlitzten Rückensäge. Auch sein Opfer würde es lieben lernen, wenn es ihm den Todesstoß gab.

Das Master Cutlery war etwas Besonderes und nicht nur, weil es weltweit lediglich 5000 Stück davon gab. Als er es in dem Laden hatte liegen sehen, wusste er sofort, dass dies das richtige Instrument für sein Spiel ist. Ein Spiel, in dem er bestimmte, wann es für sein Opfer endete und es endgültig ausschied. Game over … Ja, er liebt die Angst seiner Mitspieler, die Qual in ihren Augen und die stille Hoffnung, vielleicht doch zu überleben. Es war ein wunderbares Ausüben von Macht. Rambo lacht leise. Ihm allein oblag die Entscheidung, welchen Regeln das Spiel folgte. Sicherlich, das Spiel war hart und blutig. Aber nur wer Leid empfand, der konnte erlöst werden. Erlöst durch das Master Cutlery. Und über das Leiden wusste er inzwischen eine Menge …

Der Junge unterbricht seine Gedanken, denn er tritt einen vorsichtigen Schritt nach hinten und stößt dabei mit dem Rücken gegen den schlanken Stamm eines jungen Baumes, der direkt am Eingang zum Bunker Wurzeln geschlagen hat.

„Hast du Angst? Das ist gut. Das ist ein Teil des Spiels.“ Überraschend springt er auf den Jungen zu. Mit einem erstickt klingenden Quietschen fährt der zurück, bleibt mit dem Fuß an dem Baumstamm hängen und stürzt rücklings zu Boden. Im nächsten Moment reißt ihn Rambo an seiner Jacke in die Höhe und stößt ihn zum Mauerspalt. Drohend hebt er das Messer.

„Keine weiteren Zicken. Hinein mit dir.“

Ruppig zerrt er den Jugendlichen in die Schwärze des Bunkers. Alles Sträuben ist vergebens. Obwohl … es gehört ebenfalls zum Spiel.

Leseprobe Zweiland

 

 

Lyle wachte als erster auf. Sein Kopf schmerzte ein wenig. Sie hatten in der Nacht die ganze Flasche Champagner ausgetrunken und waren irgendwann trotz des tobenden Unwetters erschöpft eingeschlafen. Seine Seite meldete ebenfalls ein Autsch an, als er sich streckte. Draußen schien die Sonne und er hörte die schrillen Schreie der Vögel. Vorsichtig, um Deacon nicht zu wecken, der noch unter der Decke lag und schlief, erhob sich Lyle und lief ins Freie. Der strahlend blaue Himmel wirkte, als hätte es den Sturm nie gegeben. Nicht eine Wolke war zu entdecken. Das Grün der Bäume und Sträucher wirkte wie frisch geputzt und das leise Rauschen des Wasserfalls in der Nähe äußerst heimelig. Er marschierte zu dem Naturbecken, zog sich dort aus und warf sich ins Wasser. Tief war es nicht, er konnte bequem stehen. Lyle suchte sich eine Felsterrasse aus, von der das Wasser eher gemütlich herabplätscherte, und nutzte es als Dusche. Dabei hoffte er inständig, dass er nach seinem Bad keine unliebsamen Besucher wie Blutegel an sich haftend fand. Plötzlich entdeckte er Deacon am schmalen Sandufer, der irgendetwas schwenkte. Er trug seine Badeshorts, die er sich aus dem Rucksack geholt haben musste.

„Was ist los?“, rief Lyle über das Rauschen des Wassers hinweg.

„Das BlackBerry ist trocken.“

Die Erklärung reichte, dass er zu Deacon hinüberschwamm und aus dem Wasser stieg. Gleich darauf breitete er die Arme aus.

„Habe ich etwas an mir?“

Deacon starrte ihn an. „Was soll denn da sein?“

„Blutegel oder ähnliches?“

Nervös beobachtete er Deacon, der ihn einer eingehenden Musterung unterzog.

„Nein“, krächzte Deacon und räusperte sich. „Nein, da ist nichts.“

Erleichtert atmete Lyle auf. „Ich finde diese Dinger ziemlich eklig. Nicht auszudenken, wenn in diesem tollen Pool solche Viecher wohnen würden. Okay, schalt das BlackBerry ein.“

Deacon drückte den entsprechenden Schalter und gespannt warteten sie. Nichts. Es tat sich nichts.

„Bitte! Bitte! BITTE!“ Deacon versuchte es erneut, drückte heftiger und länger. Das BlackBerry blieb tot.

„Da gibt man ein Haufen Geld für diese Scheiß-Technik aus und dann ist sie nicht wasserdicht.“ Deacon fluchte heftig. Das klang nicht nach gehobener Gesellschaftsschicht, sondern eher nach niederstem Gossenslang.

„Sieht so aus, als wäre das nicht unsere einzige Nacht im Paradies“, murmelte Lyle. Irgendwie hatte er sich ebenfalls an der Hoffnung festgeklammert, dass das Handy funktionieren würde. Er seufzte leise. Wahrscheinlich hätten sie nicht einmal einen Empfang gehabt. Darauf hatte Mrs. Patterson bei ihrem Robinson-Crusoe-Plan garantiert geachtet.

„Wir sollten in der Höhle bleiben“, schlug er Deacon vor. „Wenn wir dazu eine Art Vordach bauen, haben wir genügend Platz und Schutz vor der Sonne. Außerdem haben wir Frischwasser in der Nähe.“

Deacon nickte zustimmend. „Okay, einen besseren Unterschlupf finden wir bestimmt nicht. Trotzdem sollten wir am Strand irgendetwas hinterlassen, damit man auf uns aufmerksam wird, falls … und ich betone: falls … doch ein Schiff vorbeikommt.“

„Wir können auch ein paar der Signalraketen am Strand lassen. Nicht dass tatsächlich jemand vorbeischippert und wir erst zur Höhle hetzen müssen, um die Raketen zu holen“, griff Lyle seine Idee auf.

„Lyle?“

„Hm?“

„Sind wir am Arsch?“

„Noch lange nicht.“

„Wir werden das hier überleben.“

„Na klar.“

„Allein schon, um es Tante Hailey zu zeigen.“

„Mistkröte!“

Deacon grinste, als Lyle sein Lieblingswort verwendete. „Ja, genau. Mistkröte.“

Ihre Schultern berührten sich kurz und Lyle bemerkte, dass Deacon hastig eine Winzigkeit abrückte.

„Was macht deine Schmarre?“

Es war nett von Deacon, sich danach zu erkundigen. Lyle warf selbst einen Blick auf den Kratzer.

„Es bildet sich Schorf.“

„Lyle, was passiert, wir uns verletzen? Ich meine eine richtige schlimme Verletzung? So etwas wie ein Beinbruch, Blinddarm oder Haibiss?“

Das bereitete ihm auch Sorgen. „Dann rufen wir die Rettung. Da das BlackBerry nicht funktioniert, eben über Festnetz.“

„Sehr komisch.“

„Deacon, ich habe keine Ahnung, was wir in einem derartigen Fall machen. Am besten lassen wir es gar nicht erst soweit kommen.“

Deacon kratzte sich den Nacken. Er hatte dort ein paar Quaddeln, wo ihn Insekten gestochen hatten.

„Vielleicht können wir das Rettungsfloß flicken. Ein Reparatur-Kit war dabei“, murmelte er.

„Damit würde ich mich nicht ohne Kompass, Karte und mit lediglich einem Paddel dem Meer anvertrauen. Der Pazifik ist riesig. Wir könnten monatelang in den verschiedensten Strömungen festhängen, um anschließend den Pinguinen in der Antarktis die Flossen zu schütteln.“

„Ich stehe nicht auf die Antarktis.“

„Ich ebenfalls nicht.“

Deacon grinste. „Wie? Keine Reiselust?“

„Meine Reiselust wurde drastisch ausgebremst.“

„Wir könnten das Floß als Transportmittel nutzen oder zum Angeln. Solange wir damit nicht zu weit hinauspaddeln, könnte es uns gute Dienste erweisen.“

„Kann der Herr Milliardär überhaupt paddeln?“

„Ja, er kann.“

„Prima. Folgender Vorschlag: Ich sorge am Strand für einen Hilfeschrei und du reparierst das Gummiteil und sorgst für ein Mittagessen.“

„Und dafür fahre ich nicht zu weit raus.“

„Genau.“

„Weil sich Pinguinflossen schlecht beißen lassen.“

„Sie werden weicher, wenn man nur lange genug darauf herumkaut.“

Sie lachten und schreckten damit ein paar Vögel auf, die kreischend in die Baumwipfel flohen. Es war allerdings kein fröhliches Lachen, sondern eines, das ihnen helfen sollte, nicht hysterisch zu werden.

Leseprobe Zweiland

 

 

Lyle wachte als erster auf. Sein Kopf schmerzte ein wenig. Sie hatten in der Nacht die ganze Flasche Champagner ausgetrunken und waren irgendwann trotz des tobenden Unwetters erschöpft eingeschlafen. Seine Seite meldete ebenfalls ein Autsch an, als er sich streckte. Draußen schien die Sonne und er hörte die schrillen Schreie der Vögel. Vorsichtig, um Deacon nicht zu wecken, der noch unter der Decke lag und schlief, erhob sich Lyle und lief ins Freie. Der strahlend blaue Himmel wirkte, als hätte es den Sturm nie gegeben. Nicht eine Wolke war zu entdecken. Das Grün der Bäume und Sträucher wirkte wie frisch geputzt und das leise Rauschen des Wasserfalls in der Nähe äußerst heimelig. Er marschierte zu dem Naturbecken, zog sich dort aus und warf sich ins Wasser. Tief war es nicht, er konnte bequem stehen. Lyle suchte sich eine Felsterrasse aus, von der das Wasser eher gemütlich herabplätscherte, und nutzte es als Dusche. Dabei hoffte er inständig, dass er nach seinem Bad keine unliebsamen Besucher wie Blutegel an sich haftend fand. Plötzlich entdeckte er Deacon am schmalen Sandufer, der irgendetwas schwenkte. Er trug seine Badeshorts, die er sich aus dem Rucksack geholt haben musste.

„Was ist los?“, rief Lyle über das Rauschen des Wassers hinweg.

„Das BlackBerry ist trocken.“

Die Erklärung reichte, dass er zu Deacon hinüberschwamm und aus dem Wasser stieg. Gleich darauf breitete er die Arme aus.

„Habe ich etwas an mir?“

Deacon starrte ihn an. „Was soll denn da sein?“

„Blutegel oder ähnliches?“

Nervös beobachtete er Deacon, der ihn einer eingehenden Musterung unterzog.

„Nein“, krächzte Deacon und räusperte sich. „Nein, da ist nichts.“

Erleichtert atmete Lyle auf. „Ich finde diese Dinger ziemlich eklig. Nicht auszudenken, wenn in diesem tollen Pool solche Viecher wohnen würden. Okay, schalt das BlackBerry ein.“

Deacon drückte den entsprechenden Schalter und gespannt warteten sie. Nichts. Es tat sich nichts.

„Bitte! Bitte! BITTE!“ Deacon versuchte es erneut, drückte heftiger und länger. Das BlackBerry blieb tot.

„Da gibt man ein Haufen Geld für diese Scheiß-Technik aus und dann ist sie nicht wasserdicht.“ Deacon fluchte heftig. Das klang nicht nach gehobener Gesellschaftsschicht, sondern eher nach niederstem Gossenslang.

„Sieht so aus, als wäre das nicht unsere einzige Nacht im Paradies“, murmelte Lyle. Irgendwie hatte er sich ebenfalls an der Hoffnung festgeklammert, dass das Handy funktionieren würde. Er seufzte leise. Wahrscheinlich hätten sie nicht einmal einen Empfang gehabt. Darauf hatte Mrs. Patterson bei ihrem Robinson-Crusoe-Plan garantiert geachtet.

„Wir sollten in der Höhle bleiben“, schlug er Deacon vor. „Wenn wir dazu eine Art Vordach bauen, haben wir genügend Platz und Schutz vor der Sonne. Außerdem haben wir Frischwasser in der Nähe.“

Deacon nickte zustimmend. „Okay, einen besseren Unterschlupf finden wir bestimmt nicht. Trotzdem sollten wir am Strand irgendetwas hinterlassen, damit man auf uns aufmerksam wird, falls … und ich betone: falls … doch ein Schiff vorbeikommt.“

„Wir können auch ein paar der Signalraketen am Strand lassen. Nicht dass tatsächlich jemand vorbeischippert und wir erst zur Höhle hetzen müssen, um die Raketen zu holen“, griff Lyle seine Idee auf.

„Lyle?“

„Hm?“

„Sind wir am Arsch?“

„Noch lange nicht.“

„Wir werden das hier überleben.“

„Na klar.“

„Allein schon, um es Tante Hailey zu zeigen.“

„Mistkröte!“

Deacon grinste, als Lyle sein Lieblingswort verwendete. „Ja, genau. Mistkröte.“

Ihre Schultern berührten sich kurz und Lyle bemerkte, dass Deacon hastig eine Winzigkeit abrückte.

„Was macht deine Schmarre?“

Es war nett von Deacon, sich danach zu erkundigen. Lyle warf selbst einen Blick auf den Kratzer.

„Es bildet sich Schorf.“

„Lyle, was passiert, wir uns verletzen? Ich meine eine richtige schlimme Verletzung? So etwas wie ein Beinbruch, Blinddarm oder Haibiss?“

Das bereitete ihm auch Sorgen. „Dann rufen wir die Rettung. Da das BlackBerry nicht funktioniert, eben über Festnetz.“

„Sehr komisch.“

„Deacon, ich habe keine Ahnung, was wir in einem derartigen Fall machen. Am besten lassen wir es gar nicht erst soweit kommen.“

Deacon kratzte sich den Nacken. Er hatte dort ein paar Quaddeln, wo ihn Insekten gestochen hatten.

„Vielleicht können wir das Rettungsfloß flicken. Ein Reparatur-Kit war dabei“, murmelte er.

„Damit würde ich mich nicht ohne Kompass, Karte und mit lediglich einem Paddel dem Meer anvertrauen. Der Pazifik ist riesig. Wir könnten monatelang in den verschiedensten Strömungen festhängen, um anschließend den Pinguinen in der Antarktis die Flossen zu schütteln.“

„Ich stehe nicht auf die Antarktis.“

„Ich ebenfalls nicht.“

Deacon grinste. „Wie? Keine Reiselust?“

„Meine Reiselust wurde drastisch ausgebremst.“

„Wir könnten das Floß als Transportmittel nutzen oder zum Angeln. Solange wir damit nicht zu weit hinauspaddeln, könnte es uns gute Dienste erweisen.“

„Kann der Herr Milliardär überhaupt paddeln?“

„Ja, er kann.“

„Prima. Folgender Vorschlag: Ich sorge am Strand für einen Hilfeschrei und du reparierst das Gummiteil und sorgst für ein Mittagessen.“

„Und dafür fahre ich nicht zu weit raus.“

„Genau.“

„Weil sich Pinguinflossen schlecht beißen lassen.“

„Sie werden weicher, wenn man nur lange genug darauf herumkaut.“

Sie lachten und schreckten damit ein paar Vögel auf, die kreischend in die Baumwipfel flohen. Es war allerdings kein fröhliches Lachen, sondern eines, das ihnen helfen sollte, nicht hysterisch zu werden.