Leseprobe: Blood in mind

 

Vollidiot! dachte Far Baxter.
Ich bin so ein Vollidiot! Wie ein naiver Anfänger hatte er sich in die Falle locken lassen. Als er den Hinterhalt erkannte, war es für einen Rückzug bereits zu spät gewesen. Die Zeit hatte gerade noch für das Absetzen eines Notrufs ausgereicht und nun lieferte er sich einen bizarren Tanz mit einer Handvoll Dämonen. Sollte Far überleben, dann würde man ihn ewig wegen seiner Blödheit aufziehen. Seine DV8 lag leergeschossen in der Nähe seines Privatwagens, sodass er sich mit seinem schmalen Dolch verteidigen musste. Dank dessen Speziallegierung verpuffte wieder ein animalisch knurrender Angreifer zu einem flockigen Aschewölkchen. Ein Krallenhieb zerfetzte Fars Hemd, und er fuhr mit einem erschrockenen Aufschrei herum, wobei der Dolch einen silbernen Bogen beschrieb. Das schuppige Monster wich der Klinge jedoch wendig aus. Jetzt – endlich – waren die Sirenen der herannahenden Verstärkung zu hören. Far tauchte unter einer weiteren Klaue hindurch und bemerkte aus den Augenwinkeln, dass er unerwartete Hilfe erhalten hatte. In seinem Rücken vernichtete ein Fremder in einem hellen Hemd einen weiteren Dämon. Far erhaschte nur einen flüchtigen Blick auf blauschwarzes Haar. Dann musste er sich wieder darauf konzentrieren, die restlichen drei Dämonen auf Abstand zu halten. Endlich tauchten die Kollegen mit zwei Streifenwagen in der Sackgasse auf. Far nutzte das Zögern der Dämonen beim Anblick seiner Kollegen aus und rammte seinen Dolch zwischen die graubraunen Schuppen des ihm am nächsten stehenden Gegners. Erneut rieselte Asche zu Boden.
Als die Kollegen aus dem Wagen sprangen, schufen die letzten beiden Dämonen rasch ein Portal und verschwanden spurlos. Genauso spurlos wie Fars überraschende Hilfe. Suchend schaute er sich nach seinem Helfer um und drehte sich dabei einmal um die eigene Achse. Wohin war der Kerl bloß verschwunden? Wohl kaum die glatten Wände der Hausmauern hinauf. Irgendetwas hatte Far bei seinem kurzen Blick auf den Fremden gestört, aber ihm fiel einfach nicht ein, was es gewesen sein könnte.
„Alles okay mir dir?“, wurde er von William Butler gefragt.
Far seufzte. Musste es ausgerechnet dieses Team sein, das ihm zu Hilfe kam? Sie alle waren Officer des New Yorker Police Departments und gehörten der SEED, der Sondereinheit zur Eliminierung von Dämonen an. Doch das setzte nicht voraus, dass sie alle dicke Freunde waren.
„Habt ihr eben diesen Typen gesehen?“
„Typen? Was für einen Typen denn?“, wollte William wissen.
„Er muss euch entgegengekommen sein. Hatte ein helles Hemd an.“
„Uns ist niemand entgegengekommen“, warf Williams Partner Jacob McKenzie ein und reichte Far die DV8, die er beiseite geworfen hatte, als sie nutzlos wurde. Far nickte dankend und begann die Waffe gewohnheitsmäßig nachzuladen.
„So schnell kann der Kerl doch nicht verschwunden sein“, brummte er dabei und schob die Waffe in das Holster zurück. Den Blick, den seine Kollegen einander zuwarfen, ignorierte er.
„Wer weiß, was du gesehen haben willst. Ist deine Nachtschicht nicht ohnehin längst beendet? Fahr nach Hause und schlaf dich bloß aus, ehe du der nächsten Fata Morgana begegnest“, schlug ihm der Dritte des Vierergespanns vor. Seinem Tonfall nach hätte Far auch besoffen Ausschau nach einem rosa Elefanten halten können. Für den Bruchteil einer Sekunde überlegte Far, ob er dem unverschämt grinsenden, rothaarigen Klotz eine passende Antwort erteilen sollte. Da er bei seinem Chief allerdings bereits genügend Minuspunkte wegen seiner Temperamentsausbrüche gesammelt hatte, zog er es vor sich zu zügeln. Das Grinsen des Kollegen wurde breiter.
„Leck mich, Scott.“ Far drehte sich um und stapfte zu seinem schräg auf der Straße stehenden Dodge Charger. Ethan Landon, der noch nicht einmal aus dem Streifenwagen ausgestiegen war, hob mit einem spöttischen Winken die Hand.
„Ärsche! Alle miteinander.“ Far schlug die Tür seines Wagens heftiger als nötig zu. Die vier hatten ihn schon von seinem ersten Diensttag an nicht ausstehen können, was vermutlich einzig und allein daran lag, dass er bei einer der gefürchtetsten Straßengangs New Yorks, den Nachtwölfen, aufgewachsen war. Dort hatten sich Jayden und Harry um ihn gekümmert. Die beiden Gangmitglieder waren die einzige Familie, die Far noch hatte. Er atmete einmal tief durch, startete den Motor und gab Gas. Die Nacht war wirklich lang gewesen. Beim ersten Einsatz hatten er und sein Team mit den Dämonen über Stunden Versteckspielen müssen. Ein zweiter Einsatz hatte sich zum Glück als Falschmeldung erwiesen. Wenigstens war es bis zum frühen Morgen ruhig geblieben. Aber dann musste er auf dem Heimweg den Dämonen in diese verflixte Falle tappen. Fars Finger tasteten zu dem langen Riss in seinem dunkelblauen Diensthemd. Er seufzte. Es wurde wohl wirklich Zeit, dass er ins Bett kam.


Eine halbe Stunde später lenkte Far den metallicgrünen Dodge auf seinen angemieteten Parkplatz in der Tiefgarage seines Wohnblocks. Mit dem Hemdsärmel wischte er noch ein imaginäres Staubkörnchen von dem polierten Lack des liebevoll aufgearbeiteten Wagens und machte sich auf den Weg zum Fahrstuhl. Er stand bereits in der Kabine, als ihm einfiel, dass sein Wohnungsschlüssel noch im Handschuhfach lag. Mit einem leisen Fluch kehrte er um. Zu dieser frühen Morgenstunde war es in der Tiefgarage totenstill. Selbst seine Doc Martens verursachten beim Laufen keinen Laut. Müde fuhr sich Far über das Gesicht, fühlte unter seinen Fingern deutliche Stoppeln und wischte sich dann eine hellbraune Haarsträhne aus den Augen. Im nächsten Augenblick hielt er verblüfft mitten im Gehen inne. Wie von Zauberhand klappte der Kofferraumdeckel seines Wagens auf und sein geheimnisvoller Helfer schwang sich heraus. Ohne Far zu bemerken, der jetzt seine DV8 zog und auf ihn anlegte, klopfte der Fremde seine Kleidung aus.
„Der Kofferraum war frisch gereinigt.“
Der Kopf des Fremden fuhr ruckartig in die Höhe, doch schon hatte er sich wieder in der Gewalt. Sein Gesicht verzog sich zu einem gewinnenden Lächeln.
„Dafür bin ich dir auch sehr dankbar.“ Seine Stimme hatte ein anziehendes, warmes Timbre. Auffallend bernsteingelbe Augen richteten sich abschätzend auf die Waffe in seiner Hand.
„Jetzt frage ich mich nur noch, was du in meinem Kofferraum gesucht hast. Vielleicht hättest du ja die Güte und klärst mich auf?“ Far merkte, dass er sich momentan an der Schwelle der Beherrschung befand. Erst die Dämonen, dann dieser Blödarsch Scott Wilburn mit seinem verflixten Team und nun auch noch ein blinder Passagier.
„Ich hatte die Wahl zwischen deinem Kofferraum und einer Auseinandersetzung mit deinen Kollegen“, antwortete der Fremde.
„Wenn ich mich nicht irre, dann hast du mir vorhin doch geholfen. Mit aller Wahrscheinlichkeit hätte dich ein Dank erwartet, oder etwa nicht?“
Statt einer Entgegnung entblößte sein Gegenüber spitze, weiße Fangzähne. Unwillkürlich wich Far einen Schritt zurück. Jetzt wusste er auch, was ihn vorhin an dem Fremden gestört hatte: Es waren die fließenden Bewegungen gewesen. Bewegungen, die viel zu geschmeidig für einen Menschen waren.
„Du bist ein verdammter Blutsauger?“ Far hob seine Waffe höher.
„Bist du verrückt, einfach in den Kofferraum eines Officers zu steigen?“
„Eigentlich bin ich in den Kofferraum eines Far Baxters gestiegen. Eines Dämonenkillers, der jetzt hoffentlich ein Auge zudrückt.“
„Wie bitte?“ Far glaubte sich verhört zu haben.
„Nun ja, schließlich teilen wir die Leidenschaft für das Töten von Dämonen.“
„Und woher kennst du meinen Namen?“, wollte Far jetzt wissen.
„Du und dein Team seid mir bei der Dämonenjagd bereits öfters über den Weg gelaufen. Und weil du mich interessiert hast, habe ich dich eine Weile beobachtet und herausgefunden, warum du bei den Dämonen so unbeliebt bist. Du bist verdammt gut in deinem Job.“
Far schnaubte belustigt und schaltete auf das zweite Magazin seiner DV8 um.
„Komplimente von einem Reißzahn? Was willst du damit bezwecken? Nein, beweg dich lieber nicht!“
Der Vampir hob beschwichtigend die Hände.
„Ich wollte dich kennenlernen, Baxter. Vielleicht nicht gerade auf diese Art und Weise, aber früher oder später hätte ich dich schon noch angesprochen. Du gefällst mir nämlich.“ Er trat nun einen Schritt auf Far zu. Der schoss gnadenlos und ohne mit der Wimper zu zucken. Drei sicher gezielte Geschosse schlugen in den Körper des überraschten Blutsaugers ein. Mit einem dumpfen Laut brach der zusammen.
„Ich sagte doch, du sollst dich nicht bewegen“, brummte Far und legte seine Waffe beiseite. Ein wenig wunderte es ihn, dass er den unerwünschten Mitfahrer nicht einfach abgeknallt hatte. Was für eine bodenlose Frechheit, seinen Dodge als Taxi zu missbrauchen! Da er keine Ahnung hatte, wie lange die Selbstheilungskräfte eines Vampirs benötigten, um die Betäubungsgeschosse zu neutralisieren, suchte er eilig nach seinem Handy. Flink gab er eine Kurzwahl ein und suchte ungeduldig nach seinem Wohnungsschlüssel, bis endlich jemand auf seinen Anruf reagierte.
„Coop, ich bin’s. Es gibt Probleme. Kannst du mit Joey kommen? - Ja, jetzt sofort. - Natürlich weiß ich, wie spät es ist. Im Gegensatz zu meinem Problem besitze ich eine Uhr. - Aye, ich bin in meiner Wohnung.“ Ohne eine weitere Erklärung unterbrach Far das Gespräch. Dann nahm er dem reglosen Vampir als erstes eine Walther P99 und einen Dolch ab, der dem seinen sehr ähnlich war. Die Waffen warf er in den Kofferraum seines Dodge, den er dann abschloss. Nun musste er nur noch den Vampir aus der Tiefgarage bekommen. Mühsam wuchtete er sich den schlaffen Körper über die Schulter und trug ihn zum Fahrstuhl. Wenigstens brauchte er seinen ungewollten Gast nicht noch die Treppen hinauf zu schleppen. In der vierten Etage angekommen, spähte er erst nach rechts und links, ehe er den Fahrstuhl verließ und zu seiner Wohnungstür eilte. Hastig öffnete er und ließ die Tür mit einem erleichterten Seufzer hinter sich ins Schloss fallen. Neugierige Nachbarn hätte er jetzt nicht auch noch ertragen. Aber wohin nun mit dem Vampir?
Da ihm nichts Besseres einfiel, brachte ihn Far in sein Schlafzimmer. Dort ließ er ihn auf sein Bett plumpsen und kettete ihm die Hände mit seinen Handschellen an einem Bettpfosten fest. Endlich hatte Far die Gelegenheit seinen ungewöhnlichen Gefangenen in aller Ruhe zu mustern. Sein Alter schien irgendwo bei Mitte zwanzig stehengeblieben zu sein. Hohe Wangenknochen und schmale Lippen ließen sein Gesicht ein wenig aristokratisch wirken. Zerzaustes, nackenlanges, blauschwarzes Haar umrahmte das Gesicht und verlieh ihm einen jugendlichen Touch. Far konnte sich an die durchdringenden bernsteingelben Augen erinnern, die ihm irgendwie wölfisch vorgekommen waren. Alles in allem ein äußerst hübscher Kerl mit einem geschmeidigen Körper.
Wieso also hatte der Blutsauger nicht seine immense Schnelligkeit ausgenutzt, war hinter dem Dodge in Deckung gegangen und hatte auf ihn geschossen?
„Verdammt, du hattest eine reale Chance und hast sie nicht genutzt.“ Das bereitete Far doch tatsächlich Kopfzerbrechen. Ebenso wie die Tatsache, dass der Vampir ihn offensichtlich schon einige Zeit beobachtet hatte, ohne dass es Far aufgefallen wäre. Und was sollte der Spruch, er würde ihm gefallen? Far verspürte nicht gerade das Verlangen einem Vampir gefallen zu wollen.
Endlich klingelte es an der Tür. Mit einem erleichterten Seufzer ging er öffnen. Wie erwartet standen Cooper Dayton und Joey Fisher im Treppenhaus und sahen ihn neugierig, wenn auch leicht verschlafen an. Wenigstens sein Team war so vernünftig gewesen den Feierabend nach dem Nachtdienst pünktlich anzutreten. Sicherlich hatte Far sie mit seinem Anruf aus dem Bett geklingelt.
„Lässt du uns rein oder müssen wir draußen bleiben?“, fragte Joey, weil Far noch in der Tür stand. Dunkelblondes Haar ragte wirr in alle Himmelsrichtungen und eine Knitterfalte von seinem Kissen zierte noch Joeys Gesicht. Eigentlich war er die Frohnatur ihres Teams, das untereinander in Freundschaft verbunden war. Zu dieser frühen Stunde zog Joey allerdings eine ungewohnt mürrische Miene.
Far trat einen Schritt beiseite, damit die beiden Freunde in die Wohnung konnten.
„Ich hoffe, es gibt einen guten Grund, warum ich jetzt nicht schlafen darf.“ Cooper klang eher neugierig als ungehalten.
„Aye, den gibt es. Die große Überraschung befindet sich in meinem Schlafzimmer.“
Far folgte Joey und Cooper, die gespannt durch seine Wohnung eilten.
„Ach du Scheiße! Den Kerl kenne ich doch“, entfuhr es Joey beim Anblick des Gefangenen.
„Nette Überraschung“, lautete Coopers trockener Kommentar. Er versuchte dabei ein Gähnen zu unterdrücken. Als Teamleiter ihres Quartetts, das aus drei Officers und einem IT-Freak namens Jonathan Goodman bestand, wollte er wohl wenigstens einen halbwegs wachen Eindruck vermitteln.
„Ihr kennt den Kerl?“ Verblüfft sah Far von einem zum anderen.
„Du solltest mal ab und an einen Blick in die Karteien der SEED werfen, anstatt nur auf Dämonen zu ballern. Dort ist sein Gesicht unter der Rubrik Vampir zu finden. Er ist einer der drei Walker-Brüder. Frag mich aber nicht, welcher von denen“, erklärte Cooper.
Joeys Miene hellte sich auf. „Richtig. Daher kenne ich ihn. Und wie kommt der nun hierher?“
Far begann ihnen von seinem außerplanmäßigen Kampf zu erzählen und nahm ergeben Coopers stillschweigenden Tadel wegen des Alleingangs hin.
„Er hat nicht versucht abzuhauen oder dich anzugreifen?“ Joey klang verwundert und warf dem betäubten Vampir einen entsprechenden Blick zu.
„Nein. Vielmehr gab er zu mich beobachtet zu haben und das finde ich nicht wirklich erfrischend. Außerdem will er mich kennenlernen. Wie verrückt ist das denn? Ein Vampir will einen Officer der SEED kennenlernen. Und dann? Trinken wir Tee miteinander und spielen Monopoly?“
Joey grinste.
„Ich versuche mir gerade Far und einen Blutsauger vor einem Monopolybrett vorzustellen“, sagte er zu Cooper.
„So ungeduldig wie Far immer ist, wird er wohl als erstes mit Hotelklötzchen werfen. Und spätestens nach zwanzig Minuten hätten sich die beiden dann auf der Schlossallee erwürgt.“
Cooper fuhr sich durch seinen pflegeleichten, braunen Stoppelschnitt, musste dann aber schmunzeln. Far dagegen war jetzt richtig angesäuert.
„Ich finde das überhaupt nicht komisch, Joey. Verdammt, ich habe erst gar nicht geschaltet, dass es sich um einen Blutsauger handelt. Dafür kutschiere ich ihn ungewollt durch halb Manhattan und erfahre dann, dass er mich kennenlernen möchte. Und ihr reißt bloß blöde Witze.“
„Reg dich wieder ab, Far. Ich bin ja schon wieder ruhig. Was stellen wir jetzt mit Walker-wer-auch-immer an?“ Joey bemerkte, dass er sein Hemd falsch zugeknöpft hatte und begann das Malheur zu korrigieren.
Far zuckte derweil ratlos mit den Schultern. Cooper kratzte sich nachdenklich am Kopf.
„Wieso hast du ihn eigentlich nicht ausgelöscht? Sonst fackelst du ja auch nicht lange.“
„Coop, er hat mir in dieser Seitenstraße den Rücken freigehalten. Da kann ich ihn doch nicht einfach so abknallen. Immerhin hätte er mir ja ebenfalls eine 9mm in den Kopf jagen können. Wenn ich nur daran denke, wird mir ganz anders …“
Far warf hilflos die Arme in die Höhe.
„Aaah, du bist ihm also dankbar.“ Joey versuchte nun mit den Fingern sein ungekämmtes, dunkelblondes Haar zu glätten.
Langsam wurde es Far zu bunt.
„Ich freue mich durchaus, dass ich noch am Leben bin“, schnappte er und sandte Joey einen bösen Blick.
Cooper ließ sich jetzt auf dem Fußboden nieder und schlug die Beine übereinander.
„Bring uns einen Kaffee, Far, und dann sollten wir uns in aller Ruhe anhören, was dieser Vampir von dir will.“